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Die Regeln des House of God auf dem Prüfstand

Sicherlich hast Du schon mal von dem Buch „House of God“ von Samuel Shem gehört und es wird von vielen Kollegen empfohlen. Wenn Du aber gerade noch am Anfang Deines Studiums (oder davor) stehst, dann kann ich es Dir nur mit Vorsicht empfehlen. Auch wenn man ein paar Parallelen entdecken kann. So krass und „menschenverachtend“ sind die Umstände Gott sei Dank in deutschen Krankenhäusern (noch) nicht. Vielleicht trifft es auf amerikanische Krankenhäuser zu, doch das kann ich (glücklicherweise) nicht beurteilen.

In dem Roman werden 13 Regeln für den ärztlichen Stationsalltag aufgestellt, die zumindest in Amerika eine Hilfe sein sollen, das erste Jahr Innere Medizin (und viele andere Fächer) zu „überstehen“. Teilweise sind die Regeln allerdings sehr zynisch und sollten nicht wörtlich genommen werden. Trotzdem will ich mal versuchen, ihre Bedeutung zu überprüfen. Die nachstehende Übersetzung ist dabei nicht wörtlich, denn ich habe versucht, sie an die deutschen Verhältnisse anzupassen.

1. Gomers don't die.

Pflegefälle sterben nicht.

2. Gomers go to ground.

Pflegefälle fallen aus dem Bett.

Gleich zu beginn zwei sehr menschenverachtende Regeln, die ich eigentlich nicht prüfen will. Im Buch wird übrigens auch ein Tipp gegeben, wie man die Pflegefälle dann doch los werden kann. Dann spricht man übrigens von „turfen“. Wie auch der Begriff „GOMER“ ist es eine Art Akronym von "to get rid of somebody", was so viel wie "jemanden loswerden" bedeutet. Im Krankenhaus steht es als Synonym für eine Verlegung von unangenehmen oder schwer behandelbaren Patienten. Im House of God wird empfohlen in diesem Fall das Bett des Pflegefalls auf „orthopädische Höhe“ zu stellen. Folgt dieser dann Regel zwei, bricht er sich wahrscheinlich irgendetwas und kann in die Orthopädie/Unfallchirurgie verlegt werden. Übersteht der Patient dann die Operation kann er aber auch wieder zum Bounce werden. Ein Bounce liegt vor, wenn ein Patienten wieder zurück verlegt wird. In diesem Fall empfiehlt das Buch, das Bett nun auf „neurochirurgische Höhe“ (absolute hochbockbare Höhe des Bettes) einzustellen. Dann folgen also automatisch deutlich schwerere Verletzungen, die zu einer Verlegung in eine Abteilung führen, aus der nur die wenigsten Pflegefälle auch wieder zurück kehren.

3. At a cardiac arrest, the first procedure is to take your own pulse.

Bei Herzstillstand zuerst den eigenen Puls fühlen.

Endlich eine gute Regel! Man könnte es auch übersetzen mit „Ruhe bewahren“. Denn mit zu viel Aufregung ist eine Reanimation doppelt so schwer. Außerdem passiert es nicht selten, dass man beim Tasten des Patientenpulses seinen eigenen Puls feststellt, weil dieser deutlich stärker sein kann und man den schwachen Puls des Patienten so nicht wahrnimmt. Lauf einfach mal drei Stockwerke Deines Treppenhauses hoch und versuche den Puls des Geländers zu bestimmen und du weißt, was ich meine.

4. The patient is the one with the disease.

Nicht Du bist krank, sondern der Patient.

Keine dumme Regel, doch manchmal auch nicht richtig, denn auch wir Ärzte sind Menschen, die mal krank werden können und sich dann auch erholen müssen. Was ich genau meine, kannst Du auch bei meinem Tipp zu Vermeidung des Burn-Out nachlesen.

5. Placement comes first.

Zuerst an Verlegung denken.

Klingt zynischer als es ist. Man könnte es nämlich auch mit „zuerst an Entlassung denken“ übersetzen. Und damit meine ich nicht, den Patienten so schnell wie möglich los zu werden, sondern daran zu denken, dass auch der Patient so schnell wie möglich das Krankenhaus verlassen will und dementsprechend sollte man das weitere Vorgehen strukturiert planen ohne den Patienten erstmal tatenlos drei Tage auf der Station zu parken und nur die Symptome zu behandeln. Und wenn Du dann doch den Eindruck hast, dass der Patient bei Dir nicht richtig ist, dann ist eine schnelle Überweisung in die richtige Abteilung auch für den Patienten die bessere Alternative. Wie Du eine Verlegung über ein Konsil richtig einleitest, habe ich übrigens hier beschrieben.

6. There is no body cavity that cannot be reached with a #14 needle and a good strong arm.

Mit einer ausreichend langen Kanüle und einem starken Arm kann man jede Körperhöhle erreichen.

Was soll ich dazu noch sagen? Das kann ich als Chirurg nur unterstreichen. Doch erstens muss es gar kein starker Arm sein, sondern nur die richtige Technik und zweitens braucht es manchmal dann doch einen Chirurgen, der diese Höhle auch mit einer Drainage versorgt...

7. Age + BUN = Lasix dose.

Alter + Serum-Harnstoff = Lasix-Dosis

Dies entbehrt jeder Wissenschaft und muss nicht weiter kommentiert werden.

8. They can always hurt you more.

Die Patienten können Dich immer noch mehr quälen.

Keine Sorge! Völliger Quatsch! Ein Patient hat mich noch nie gequält. Anders herum ist es aber schon mal vorgekommen (sollte aber vermieden werden)...

9. The only good admission is a dead admission.

Die einzige gute Aufnahme ist eine tote Aufnahme.

Kann ich nicht bestätigen. Es bleibt immer noch die Notwendiglkeit den unbeliebten Totenschein auszufüllen. Außerdem bin ich ja Arzt geworden, um Menschen zu retten. Über eine Leiche freue ich mich nicht!

10. If you don't take a temperature, you can't find a fever.

Wer keine Temperatur misst, kann auch kein Fieber feststellen.

Gar nicht so dumm diese Regel, wenn man sie etwas ausdehnt und so interpretiert, dass man nicht alles messen solte, was man messen kann, sondern sich vorher überlegt, was einen wirklich interessiert. Wie man beispielsweise unnötige Labor-Untersuchungen vermeidet habe ich Dir hier beschrieben. Aber die Temperatur sollte man (insbesondere bei postoperativen Patienten) aber durchaus regelmäßig von den Pflegekräften messen lassen!

11. Show me a BMS who only triples my work and I will kiss his feet.

Zeige mir einen Famulanten, der meine Arbeit nur verdreifacht, und ich werde ihm die Füße küssen.

Das kann nur jemand schreiben, der auch mit Famulanten nicht richtig umgehen kann. Meine Erfahrung ist ganz anders. Wenn ich ihm am Anfang zeige, wie man Blut abnimmt und eine Aufnahme macht, dann kann eine Famulant meine Arbeit auch halbieren. Ich revanchiere mich dann immer damit, dass ich ihm oder ihr in der gewonnenen Zeit viele interessante Dinge zeige und erkläre. Und wenn Du auf einen Kollegen triffst, der Dich als Störung empfindet, dann versichere ihm, dass Du helfen willst und überzeuge ihn vom Gegenteil, dann hast auch Du viel mehr von Deiner Famulatur.

12. If the Radiology resident and the BMS both see a lesion on the chest X-Ray there can be no lesion there.

Wenn der Radiologe und der PJler einen Befund im Röntgen-Thorax sehen, gibt es ihn nicht.

Das habe ich aber anders erlebt. Wenn Du also etwas auf einem Röntgenbild siehst, dann frage ruhig mal nach. Auch wenn Du falsch liegst, kannst Du nur dazu lernen.

Thorax
Fällt Dir hier etwas auf? Dann zeige es Deinem Stationsarzt!

13. The best delivery of medical care is to do as much nothing as possible.

Die beste ärztliche Betreuung besteht darin, so wenig wie möglich zu tun.

Zum Schluss nun doch noch eine Regel, die ich gerne unterschreibe. Nach dem Motto „viel hilft viel“ zu therapieren ist nämlich kein guter Weg. Das gilt für die richtige Dosis eines Medikaments genau so, wie die Regel nur dann zu operieren, wenn es auch notwendig und sinnvoll ist. Dabei darf man die Selbstheilungskraft des Körpers nicht unterschätzen und nur soweit therapieren, wie es eben dieser Körper verlangt. Auch für ärztliches Handeln gilt: „Die Dosis macht das Gift!“

Viel Erfolg mit Deinen eigenen Regeln wünscht Dir

Dein Dr. Felix Findig


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