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Kliniksprache und -Schrift für Anfänger

Hattest Du früher im Kindergarten auch so eine Geheimsprache, die nur Deine Freunde und Du verstanden haben und mit der Ihr über die Erwachsenen lästern konntet, ohne dass Sie es gemerkt haben?

Oder Du konntest Dich mit Deinem Kumpel oder Deiner Freundin mit euren Insider-Abkürzungen ganz schnell über Andere unterhalten und heute noch in einer 160-Zeichen-SMS einen ganzen Roman verfassen?

Wenn Dir das Spaß macht, dann herzlich willkommen im Mekka der Geheimsprachen, Hieroglyphen und Shortmessages – herzlich willkommen in der Klinik!

Ich will Dir jetzt aber nicht die Terminologie und andere Fachbegriffe beibringen. Das lernst Du ja im Studium sowieso. Einen kleinen humoristischen Einblick in die Welt der Kliniksprache findest Du übrigens bei unseren Link-Tipps.

Unter der Rubrik „Humor in der Medizin“ gibt Dr. med. Eckart von Hirschhausen eine außerordentliche Lehrstunde an der Justus-Liebig-Universität Gießen unter dem Titel „Arzt - Deutsch, Deutsch - Arzt“, warum Worte Medizin sind.

zu den empfohlenen Links

Kommen wir nun aber zu den beliebtesten Abkürzungen.

Die wichtigste ist wohl V.a. Und steht für „Verdacht auf“. Das kann man immer dann vor eine Diagnose stellen, wenn man sich nicht hundertprozentig sicher ist. Diese Diagnose bleibt dann so lange bestehen, bis man einen anderen Verdacht hat oder die richtige Diagnose gefunden hat.

Alles was ein Patient schon mal gehabt hat, wie beispielsweise eine Operation, wird gerne mit Z.n. gekennzeichnet und heißt „Zustand nach“. Das heißt, man sieht den Patienten in einem „Zustand nach“ einer Maßnahme oder einem Ereignis. Was damit gemeint ist, weiß jeder, der schon mal Z.n. einer langen Party war. Wenn trotzdem alles in Ordnung ist, dann bekommt man das Kürzel o.B., ist also „ohne Befund“.

Wer es genauer mag, der schreibt lieber o.p.B. und meint „ohne patholgischen Befund“, denn „ohne Befund“ klingt so, als hätte man den Patienten gar nicht untersucht, das heißt, man hätte keinen Befund erhoben. Doch das hast Du ja und der Befund lautet: alles in Ordnung bzw. ohne etwas krankhaftes/patholgisches gefunden zu haben.

Normalerweise soll man mit den Patienten ja so sprechen, dass sie alles verstehen. Und dann soltest Du die ganzen Fach- und Insiderbegriffe nicht verwenden. Doch manchmal gibt es Momente, bei denen man sich vor den Patienten oder Angehörigen auch austauschen muss und diese Personen den Inhalt nicht verstehen dürfen.

So spricht man beispielsweise von „C2-Abusus“, weil man „Alkoholabhängigkeit“ häufig nicht verwenden kann.

maligne Tumore und..

Einige Kollegen nutzen diese Sprache dann auch gerne, um sich über nervende Patienten, Kollegen oder Vorgesetzte zu unterhalten.

Dabei werden mit dem Wort „maligne“, das eigentlich „bösartige“ Tumoren kennzeichnet, auch die Eigenarten dieser Personen beschrieben. Wirklich kreativ werden wir Ärzte dann, wenn es darum geht die Dummheit zu betiteln. Hier meine Highlights:

Interauriculäre Insuffizienz
fehlende Funktion zwischen den Ohren, also im Gehirn
Supranasale Oligosynapsie
wenige Verbindungen zwischen den Nervenzellen oberhalb der Nase
Logorrhoe
Sprachdurchfall

Doch auch wir Ärzte wissen nicht immer alles. Und damit wir nicht dumm dastehen haben wir gleich mehrere schlaue Wörter erfunden, die alle nur aussagen: „Wir kennen die Ursache auch nicht, sorry! Schöne Beispiele sind:

idiopathisch
Ursache unbekannt
essentiell
gibt es auch ohne bekannte Ursache (CAVE: essentielle Fettsäuren sind „lebensnotwendig“, hier hat das Wort wieder eine konkrete Bedeutung)
funktionell
das Organ ist intakt, doch die Funktion ist gestört, Ursache unbekannt
Dystonie
das Gleichgewicht stimmt nicht, also ist etwas krank, Ursache aber auch hier unbekannt
vegetativ
wenn man nicht weiß, was die Ursache ist, dann liegt es bestimmt am vegetativen Nervensystem, doch bewiesen ist gar nichts



Diese und weitere Fachbegriffe und Abkürzungen findest Du in unserem wachsenden Glossar der Kliniksprache


Dummerweise kennen immer mehr Patienten unsere Begriffe und daher ist es gar nicht mehr so leicht, sich ungestört zu unterhalten. Problematisch ist es dann, wenn unsere Begriffe falsch verstanden werden. So ist es beispielsweise mit dem Wort „Tumor“, was eigentlich nur „Schwellung“ heißt.

Doch jeder Patient denkt sofort an „Krebs“. Deshalb haben wir ein neues Wort erfunden und gleichzeitig eine Abkürzung dazu. „RF“ ist die „Raumforderung“ und bezeichnet also etwas wachsendes, das einen größer werdenden Raum einnimmt bzw. „fordert“.

Und auch das Wort „Metastasen“ versteht mittlerweile jeder, so dass sich immer mehr die Wörter „Absiedlungen“ oder „Filiae“ (Tochtergeschwülste) durchsetzen, bis auch diese wieder jeder versteht...

Aber wir können nicht nur tolle Wörter, sondern auch interessante Zeichen wie z. B. 1-0-1. Wenn Du schon mal Deiner Großmutter die Tabletten gerichtet hast, dann weißt Du es bereits. Es geht um die Zeiten zu denen die Tabletten eingenommen werden müssen. „Placebo 20 mg 1-0-1“ heißt also, dass „das Medikament Placebo als 20-Milligramm-Tablette einmal morgens und einmal abends eingenommen werden soll.“ Ist noch eine Tablette zur Nacht notwendig, dann steht dort „1-0-1-1“ hinter dem Medikament. Und braucht man mal eine halbe und dann wieder zwei Tabletten, dann kann man auch „1/2-0-2“ schreiben und so weiter...

Gute Unterhaltung wünscht

Dein Dr. Felix Findig


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