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Die Chefvisite richtig meistern

Bist Du ein Freund von modernem Tanztheater?
Dann wirst Du die Chefarzt-Visite auf Deiner Station lieben. Was, Du bist kein Fan davon? Dann gebe ich Dir hier mal ein paar Tipps, wie Du Teil dieses kulturellen Ereignisses wirst.

Doch was passiert da eigentlich?
Das Ziel dieser Prozession ist es, dem Chef und dem Rest der Ärzteschaft Deiner Klinik alle Patienten Deiner Station schnell und prägnant vorzustellen, damit Deine Therapie überprüft und ggf. durch Chef- und Oberarzt korrigiert wird.
Den Patienten soll aber gleichzeitig das Gefühl gegeben werden, dass sie alle Patienten des Chefarztes sind und er auch ihre Therapie leitet.

Arztzimmer
Und noch ein paar Begleiter auf der Prozession.
Mit dem „heiligen“ Visitenwagen bzw. den Kurven darfst Du auch noch jonglieren...

.. die Chefarzt-Visite

Das Drehbuch und die Rollenverteilung sind denkbar einfach.
Der Chef geht vorne weg und ihm folgen erst die Ober- und dann die Assistenzärzte. Diese Gruppe, die nicht selten aus mehr als 10 Personen besteht, versucht sich also in das Patientenzimmer zu quetschen. Das Wort „Ärzteschwemme“ (was ja nicht mehr aktuell ist, da wir eher von einem Ärztemangel sprechen) bekommt in diesem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung.
Der tragische Held ist dann allerdings der Stationsarzt, also eventuell Du. Er muss sich nun aus der Masse der Assistenzärzte durch die Mauer an Oberärzten bis zum Chefarzt durchkämpfen, um ihm den Patienten vorzustellen, der gerade vor ihm liegt.
Ein gut erzogener Chefarzt stellt sich meistens selbst vor und hofft dann die notwendigen Fakten von Dir zu erfahren.

Beginne selbstverständlich mit dem Namen des Patienten (Du kannst auch mal das Alter und Geschlecht einwerfen, doch das ist zumindest meistens offensichtlich), nenne dann die Haupt-(Verdachts-)Diagnose und bisher erfolgte Untersuchungen bzw. Maßnahmen mit Ihrem Ergebnis.
Danach kannst Du auf ein paar „erwähnenswerte“ Besonderheiten eingehen und schließlich das geplante Prozedere beschreiben.

Das könnte ungefähr so klingen:

„Das ist Herr Meier (67 jähriger Patient), der vor drei Tagen wegen Verdacht auf Appendizitis aufgenommen und sofort laparoskopisch appendektomiert wurde.
Die Histologie steht noch aus. Der postoperative Verlauf ist komplikationslos, die Beschwerden rückläufig, heute morgen hatte er Stuhlgang, so dass wir mit dem Kostaufbau beginnen wollen und er wahrscheinlich Ende der Woche entlassen werden kann.“

Dann kommt entweder ein zustimmendes „Okay“ vom Chefarzt oder (was dann meistens die Schweißperlen auf die Stirn treibt) eine Nachfrage beispielsweise zum aktuellen Labor und dessen Verlauf.
Es empfiehlt sich also, gern erfragte Details (Labor, Röntgenbefund, Darmtätigkeit, Wundheilung, Mobilität, Histologie, geplante Entlassung etc.) zu kennen.
Keine Sorge, es gibt immer etwas, was Du nicht parat hast. Das wirklich Entscheidende solltest Du natürlich wissen oder Dir entsprechende Notizen machen.
Es gibt sogar ein paar Chefs, die Fragen so lange, bis sie etwas gefunden haben, auf das Du keine Antwort weißt. Das ist meistens nicht böse gemeint, sondern ihre Art Dich auszubilden und darauf aufmerksam zu machen, dass Du Deine Patienten gut kennen musst.

.. sicheres Auftreten !!

Einige Chefärzte kannst Du vor allem durch ein sicheres Auftreten davon überzeugen, dass Du alles im Griff hast.

Ich hatte mal einen Kollegen, der sich die Laborwerte auch nicht genau merken konnte, aber sie immer ungefähr wusste. Wenn der Chef dann nach der Leukozytenzahl gefragt hatte und der Kollege nur noch im Hinterkopf hatte, das die sich bereits in den Normbereich entwickelt hatten, dann hat er einfach selbstsicher geantwortet: „Die sind auf 8 gesunken!“
Damit war der Chef dann auch zufrieden. Nachkontrolliert hat er es nie. Selbstverständlich sollst Du nicht lügen oder etwas beschönigen, doch bei diesem Beispiel ist es auch nicht wichtig, ob der Wert genau bei 8 oder vielleicht 7 oder 10 liegt.

Unangenehm wird es dann, wenn der Chef mit Deinem Vortrag oder Deiner Therapie nicht einverstanden ist oder bei der Visite ein tatsächliches Versäumnis festgestellt wird.

Jetzt gilt es, diesen Sachverhalt zu klären ohne dabei den Patienten zu beunruhigen. Denn der liegt da ja schließlich auch noch vor einem und merkt auch an den Reaktionen vom Chefarzt oder Dir, ob alles in Ordnung ist. Auch hier geht es nicht darum, Fehler zu vertuschen, sondern darum, das Arzt-Patienten-Verhältnis so aufrecht zu erhalten, dass der Patient weiterhin Vertrauen in seine Therapie hat.
Ein guter Chefarzt lässt sich dann meistens nicht anmerken, dass ihm etwas nicht passt und sucht später in vertrauter Atmosphäre das Gespräch mit den Verantwortlichen (also auch den Stations-Oberärzten).
In dem Zusammenhang kann der Chef auch mal den Code „ante portas“ fallen lassen, was soviel heißt wie: „Das besprechen wir dann mal vor der Tür!“

Aber bei der Chefvisite geht es (wie bei jeder Visite) auch darum, dem Patienten Aufmerksamkeit zu schenken und Zuversicht auszustrahlen. Das heißt auch, dass Du auf Deine Wortwahl achten solltest, insbesondere wenn Du schlechte Nachrichten überbringen musst oder diese ansprechen musst, um den Patienten korrekt vorzustellen.
Da kann es auch manchmal hilfreich sein, bereits vor Betreten des Zimmers den Chefarzt zu informieren. Doch auch dabei erlebt man manchmal haarsträubende Dinge. Ich hatte mal einen recht taktlosen Chef und da durfte ich dann nach der Chefvisite regelmäßig ein paar Patienten erneut besuchen, um zu erklären, dass er es nicht so gemeint hatte bzw. wie gewisse Äußerungen zu verstehen sind.
Das heißt, Du bist dann auch manchmal der Vermittler zwischen Chef und Patient, bis zur nächsten Prozession.

Rangfolge bitte beachten...

Apropos Tanztheater.
Richtig surreal wird es dann, wenn sich die Karawane wieder aus dem Patientenzimmer begeben muss, denn die Reihenfolge mit dem Chef am Anfang des Zuges versuchen alle Beteiligten auch dann wieder einzuhalten.
Da pressen sich also alle Kollegen an die Zimmerwand und die Betten, um in der Mitte einen Gang zu bilden, durch den der Chef und sein Hofstaat wieder das Zimmer verlassen können.
Dieses Schauspiel wiederholt sich im nächsten Zimmer aufs Neue, so dass Du Dich auch hier wieder bis zur Spitze vorarbeiten darfst, um das Wort für Deine Patienten zu ergreifen.

Viel Erfolg bei Deiner nächsten Aufführung wünscht,

Dein Dr. Felix Findig


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