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Die Anästhesiologie stellt sich vor!





An dieser Stelle hat sich Dr. med. Eckhard Meinshausen, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Meiningen GmbH und Vertreter der Krankenhaus-Anästhesisten im Berufsverband Deutscher Anästhesisten e.V. (BDA) den Fragen von Dr. Findig gestellt.


  1. Welche Erkrankungen und Patienten behandelt eine Fachärztin bzw. ein Facharzt für Anästhesie?

    Für alle operativen Fachgebiete ist der Anästhesist unverzichtbarer Partner in den Operationssälen sowie auf den meisten Intensivstationen Deutschlands. Insofern behandelt er - wie zum Beispiel auch ein Radiologe - nur ausnahmsweise „eigene“ Patienten ohne Beteiligung anderer Fachgebiete. Gerade diese ausgesprochene Interdisziplinarität zeichnet das Fachgebiet aus. Sie verleiht der Anästhesie zudem auch das attraktive Attribut, ein breites Patientenspektrum betreuen zu können. Während in vielen Fachgebieten fast ausschließlich Erwachsene behandelt werden und Pädiater nur Kinder betreuen, muss sich der Anästhesist auf alle Altersstufen einlassen – vom Frühgeborenen bis hin zum Hochbetagten.

    Der Anästhesist ist sozusagen der perioperative „Homöostatiker“, d. h. er muss Indikation, Durchführung und Nachsorge der verschiedensten operativen Verfahren kennen und auf dieser Grundlage die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen während der kritischsten Krankheitsphasen in den OP-Sälen und den Intensivstationen persönlich gewährleisten. Dies bezieht sich nicht nur auf Herzkreislaufsystem und Atmung, sondern beispielsweise auch auf Blutgerinnung und Volumenstatus, Normothermie und nicht zuletzt differenzierte Abstimmung der oft umfänglichen Hausmedikation. Die Sicherung einer optimalen Schmerztherapie, das Vermeiden von Übelkeit und Erbrechen sowie nicht zuletzt: eine menschlich vertrauensvolle Begleitung runden das Profil ab.

    Integraler Bestandteil der Weiterbildung zum Anästhesisten sind darüber hinaus weit überdurchschnittliche Kenntnisse in der Notfall-, Intensiv- und Schmerzmedizin. Diese grundlegenden ärztlichen Arbeitsgebiete werden von vielen Anästhesisten nach der FA-Prüfung in Form einer Zusatzweiterbildung noch weiter vertieft.

  2. Wie sieht der Arbeitsalltag einer Fachärztin bzw. eines Facharztes für Anästhesie in der Klinik aus?

    Die oben beschriebene Vielfalt bedingt, dass es den typischen Alltag nicht gibt. Üblicherweise trifft man sich, zum Beispiel um 07.30 Uhr zu einer gemeinsamen Frühbesprechung, um kritische Patienten, aber auch laufende Änderungen des OP-Programms zu besprechen. Anschließend werden über viele Stunden die verschiedensten Allgemein- und Regionalanästhesieverfahren für die operativen Fachgebiete des Hauses, unterstützt durch eine Anästhesiepflegekraft, durchgeführt. Patientenbetreuung im Aufwachraum und Narkosevorgespräche am Nachmittag schließen den Alltag ab.

    Allerdings gibt es immer mehr Krankenhäuser, in denen nur noch die Hälfte der Anästhesisten, wie beispielsweise auch bei uns in Meiningen, im klassischen Kerngeschäft der Narkose tätig ist. Die übrigen Kolleginnen/Kollegen sind - teils in regelmäßiger Rotation mit dem OP - auf den Intensiv- und Intermediate Care-Stationen, in der Notaufnahme incl. präklinischer Rettungsdienst sowie der Schmerz- und Palliativmedizin tätig bzw. kümmern sich um administrative Aufgaben für die gesamte Klinik, zum Beispiel Transfusions- bzw. Hygieneverantwortlicher Arzt, Med. Controlling, Ärztlicher Direktor u. a..

  3. Wie wird man eine Fachärztin bzw. ein Facharzt für Anästhesie?

    Nach abgeschlossenem Medizinstudium und erteilter Approbation kann die berufsbegleitende Weiterbildung zur Fachärztin, zum Facharzt für Anästhesiologie starten. Diese erfolgt in einer von den Landesärztekammern befugten Weiterbildungsstätte. Die Weiterbildung zur Fachärztin, zum Facharzt für Anästhesiologie dauert in Deutschland mindestens fünf Jahre (60 Monate). In dieser Zeit werden neben der Anästhesiologie Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie vermittelt. Darüber hinausgehende Qualifikationen in diesen Bereichen können durch entsprechende Zusatzweiterbildungen erworben werden. Dieser Zeitraum lässt sich realistisch einhalten. Grundsätzlich kann die Weiterbildung in Teilzeit abgeleistet werden, allerdings dauert sie dann entsprechend länger.

    Weitere Informationen zu Weiterbildungsmöglichkeiten in Deutschland gibt es unter:
    https://www.anaesthesist-werden.de/weiterbildungsregister.html

  4. Kann jeder eine Fachärztin bzw. Facharzt für Anästhesie werden?

    Grundsätzlich ja. Wichtige Voraussetzung ist vor allem Freude an Interdisziplinarität. Weiterhin wichtig sind Teamgeist und absolute Verlässlichkeit. Neben einem soliden manuellen Grundgeschick sollte natürlich die Bereitschaft nicht fehlen, den Patienten, Angehörigen sowie Kollegen der anderen Disziplinen „rund um die Uhr“ in Bereitschafts- und Schichtdiensten zur Verfügung zu stehen.

    Dass diese Sonderbelastung, wie sie durchaus nicht jedes Fachgebiet aufweist, bei guter Organisation trotzdem familienverträglich sein kann, zeigt der traditionell hohe und weiter steigende Frauenanteil in unserem Fachgebiet.

  5. Kann man sich als Fachärztin bzw. Facharzt für Anästhesie später niederlassen?

    Eindeutig ja. Immer mehr Eingriffe - und damit natürlich auch Narkosen - können ambulant durchgeführt werden. Dabei gibt es sowohl den eine OP-Praxis betreibenden Anästhesisten, welcher verschiedene Operateure als „Gäste“ empfängt, als auch den „reisenden“ Anästhesisten, der verschiedene Operateure in deren Praxen aufsucht.

    Auch viele niedergelassene Schmerztherapeuten entstammen der Anästhesie. Da sie gelernt haben, vitale Risiken sicher zu erkennen und zu beherrschen, sind sie oft besonders geeignet, auch invasive schmerztherapeutische Maßnahmen ambulant erfolgreich durchzuführen.

    Aufgrund eben dieser besonderen notfallmedizinischen Qualifikation des Fachgebietes können niedergelassene Anästhesisten in der Regel - wenn sie dies wollen - auch problemlos weiter am Notarztdienst teilnehmen.

  6. Was fasziniert Sie so sehr an Ihrem Fachbereich?

    Wir betreuen unsere Patienten in der Regel während der kritischsten Phase ihrer Krankheit, zum Beispiel im OP-Saal bzw. auf der Intensivstation. Hier mit den enormen Möglichkeiten unseres Fachgebietes vertrauensvoller Partner zu sein sowie auch schwerkranke Patienten erfolgreich durch kritische Situationen zu führen, sehe ich auch nach fast 30 Jahren Berufstätigkeit als faszinierende Herausforderung an, die es jeden Tag gewissenhaft aufs Neue zu bestehen gilt.

    Gelingt es dann, Patientenerwartungen noch zu übertreffen, indem beispielsweise der Patient erstmalig nach einer Narkose schmerzfrei und ohne Übelkeit oder Erbrechen erwacht, verschafft das weitere berufliche Befriedigung.

    Wenn diese Erfolge überdies in einem vertrauensvoll kooperierenden Team von Operateuren, OP- sowie Anästhesie- und Intensivpflegekräften erarbeitet werden, ist auch die soziale Zufriedenheit am Arbeitsplatz enorm.

  7. Welche Vorurteile bestehen gegenüber dem Beruf der Fachärztin bzw. des Facharztes für Anästhesie, und was ist da dran?

    Die Hauptvorbehalte gegenüber der Anästhesie sind wohl die, dass das Fach eher langweilig sei, bzw. dass man mehr oder weniger „Erfüllungsgehilfe“ der Operateure sei. Hierzu kann man m. E. Folgendes bemerken:

    1. Eine gut angelegte Narkose in einem bekannten Umfeld kann tatsächlich ruhigere Phasen beinhalten, wo es nur um die Beobachtung der vielen - in der Regel dann stabilen - Vitalparameter geht. Andererseits gibt es keine bessere Gelegenheit, als in einer solchen Phase zum Beispiel - gemeinsam mit dem Operateur! - das weitere OP-Programm abzustimmen bzw. die Verordnungsbögen für die postoperative Phase auszuarbeiten, wie zum Beispiel Fragen wie weitere Antibiotikagabe, Antikoagulation, Kostaufbau, Mobilisation, Laborkontrollen etc. verbindlich zu klären bzw. gleich zu dokumentieren.
    2. Wer sich hier als Anästhesist kompetent „auf Augenhöhe“ einbringt, wird sich, glaube ich, kaum je als Erfüllungsgehilfe fühlen müssen. Vielmehr wird der Anästhesist in vielen Krankenhäusern immer mehr als „perioperativer Allgemeinmediziner“ gesehen und um Rat und Unterstützung gebeten.

  8. Wie unterstützen die Fachgesellschaften und der Berufsverband einen Berufsanfänger auf dem Weg zur Fachärztin bzw. zum Facharzt für Anästhesie?

    Bundesweit ist eine große Nachfrage nach den o. g. breiten Qualifikationen, die ein Anästhesist aufweist, zu verzeichnen. In einigen Regionen besteht ein ausgesprochener Mangel. Erfreulicherweise bietet das Fachgebiet jedoch fast überall umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten. Wo dies, zum Beispiel in kleineren Häusern, nur unvollständig möglich ist, entstehen zunehmend Verbünde, so dass ohne Umzug fast überall in Deutschland die komplette Weiterbildung absolviert werden kann. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten sorgt hier durch das Weiterbildungsportal www.anaesthesist-werden.de für Transparenz und Unterstützung. Hier finden Interessierte u.a. auch Termine, an denen der BDA mit seinem Informationscafé an Universitäten und Lehrkrankenhäusern mit einem Stand in diesem Jahr präsent ist.

  9. Wem würden Sie empfehlen, eine Fachärztin bzw. ein Facharzt für Anästhesie zu werden?

    • Wer einen guten Überblick über die gesamte Medizin behalten möchte,
    • wer medizinische Notfälle souverän zu beherrschen lernen möchte,
    • wer sich zutraut, auch knifflige interdisziplinäre Fragestellungen zu lösen (zum Beispiel Zusammenführung der Ansichten von Unfall-, Viszeral-, Neuro- und Kieferchirurgen bei einem polytraumatisierten Patienten), und
    • wer in der Lage ist, mit sozialer Kompetenz Teams zu steuern, ohne einen Führungsanspruch „heraushängen“ zu lassen, sollte es unbedingt mit der Anästhesie versuchen.
    • Wer einmal in dieses Fachgebiet hereingeschnuppert hat, den lässt es in der Regel nicht mehr los.







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