Die gute Anamnese

Immer wieder hört man, dass sich Ärzte keine Zeit nehmen, um Ihren Patienten zu zuhören. Es gibt sogar Untersuchungen, nach denen Ärzte schon nach 30 Sekunden den Patienten das erste Mal bei der Schilderung seiner Symptome unterbrechen. Aber was heißt hier „schon“? In 30 Sekunden kann man viel erzählen und es ist nun einmal die Aufgabe des Arztes, das Gespräch zu lenken, um die Informationen zu erhalten, die der Diagnosefindung dienen.

Anamnsese
Eine Anamnese erfordert Dein ganzes detektivisches Geschick!

Manchmal sind schon 30 Sekunden zuviel

Ich hatte mal einen ca. 65jährigen Patienten, der mit Rückenschmerzen in meine Notaufnahme kam. Ich fragte ihn, welche Beschwerden er habe und seit wann.
Eine typische Frage am Anfang eines Gespräches und noch relativ offen gestellt, um dem Patienten die Möglichkeit zu geben, alle Umstände zu schildern.

Doch dann kam seine Antwort: „Also Herr Doktor, das ist eine lange Geschichte. Ich will Ihnen mal erzählen, womit das alles angefangen hat – Ich kam schon als Steißgeburt auf die Welt!“
Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, aber hier habe ich ihn nicht einmal 30 Sekunden erzählen lassen und habe dann etwas konkreter Fragen gestellt...

Aber selbstverständlich solltest Du dabei höflich bleiben und schauen, dass Dir nicht wichtige Informationen vorenthalten werden, weil der Patient ihre Bedeutung unterschätzt oder Du Ihn daran hinderst, diese zu äußern. Bedenke dabei auch, dass Du Dich zwar jetzt diesem Patienten mit Deiner vollen Aufmerksamkeit widmen sollst, aber das Wartezimmer noch mit anderen Patienten gefüllt ist, die ebenfalls schnell behandelt werden wollen.
Du wirst häufig auf diese Diskrepanz treffen, dass sich einerseits die Patienten beschweren, warum sie noch nicht behandelt werden und andererseits dann, sobald sie in Deinem Arztzimmer Platz genommen haben, in epischer Breite ihre Beschwerden schildern wollen, ohne darüber nachzudenken, dass sie selber gerade noch zu den Patienten gehörten, die sich wunderten, warum das alles so lange dauert.

Hier ist Dein Geschick gefragt, Dir so schnell wie möglich einen Überblick zu verschaffen und dann das Gespräch zur Diagnosefindung so zu lenken, dass Du die nötigen Informationen bekommst und gleichzeitig dem Patienten das Gefühl gibst, verstanden worden zu sein. Das Gespräch ist nämlich der wichtigste Bestandteil, um ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen.

  1. Mit einer offenen Frage beginnen

    Stell Dich vor und beginne mit einer offenen Frage, wie: „Was ist denn los?“ Viele Patienten springen auch sofort auf die Untersuchungsliege. Ich sage dann häufig: „Nehmen Sie doch hier neben dem Tisch Platz und wir unterhalten uns erst einmal!“ Das schafft Vertrauen, da Du später ja zu einer Untersuchung schreiten wirst und in die Intimsphäre des Patienten eindringst, was es leichter macht, wenn Ihr zuvor etwas bekannt geworden seid.

  2. Gezielt nachfragen

    Dann hörst Du Dir die Schilderungen an und fragst nach, wenn Du etwas nicht verstanden hast oder noch nähere Informationen brauchst. Dabei ist es wichtig, dass auch Du verstanden wirst. Lass alle Fachbegriffe weg. Du kannst schlecht fragen: „Haben Sie kolikartige Schmerzen?“ Besser ist es, mit „Bildern“ zu arbeiten und Auswahlmöglichkeiten anzubieten. Beispielsweise: „Haben Sie einen dauerhaften Schmerz im Bauch oder kommt und geht dieser wie eine Welle?“ Dabei nutze ich auch gerne Gesten und bewege meine Hand beispielsweise in einer waagerechten Linie, wenn ich „dauerhaft“ sage oder hebe und senke meine Hand „wie eine Welle“, wenn ich das „Kommen und Gehen“ des Schmerzes darstelle. Dieses moderne Tanztheater sieht zwar manchmal etwas bescheuert aus, aber Du hast ja genug Selbstbewusstsein und stehst da sicher drüber, wenn Du weißt, dass es der Sache dient.

  3. Krankengeschichte erfragen

    So jetzt hast Du die aktuellen Probleme erfahren und solltest Dich auch darüber informieren, was bisher in der Krankengeschichte passiert ist und welche Vorerkrankungen gerade in Behandlung sind.

Nein, Ich bin kerngesund!

Hier wirst Du oft erleben, dass die Patienten entweder nicht wissen, was sie alles für Krankheiten haben oder alle Voroperationen vergessen haben. Eine typische Unterhaltung sieht dann folgendermaßen aus.

Arzt: „Gibt es irgendwelche Erkrankungen, weshalb Sie in ärztlicher Behandlung sind?“

Patient: „Nein, ich bin kerngesund!“

Arzt: „Nehmen Sie Medikamente regelmäßig ein?“

Patient: „Ach Herr Doktor, das sind so viele, die kann ich Ihnen aus dem Kopf gar nicht alle sagen! Hier ist eine Liste!“

Also liegen doch Vorerkrankungen vor! Gut, dass der Patient eine Liste hat. Dumm nur, wenn man keines der Medikamente kennt. Ich bin ja Chirurg und habe mit Medikamenten sowieso nicht so viel am Hut und habe daher immer eines dieser kleinen Medikamenten-Büchlein in der Kitteltasche. Kann ich Dir nur empfehlen, da ständig neue Medikamente auf den Markt kommen oder umbenannt werden. Damit kann man dann von den Medikamenten auf die Krankheiten schließen. Sieht nämlich auch im Anamnesebogen dämlich aus, wenn bei „Krankheiten“ nichts und bei „Medikation“ eine halber Apothekenschrank zu finden ist.
Da merkt selbst ein Chirurg, dass das nicht stimmen kann.

Dein Dr. Felix Findig